Dieser Beitrag wurde uns von Michael Laforme zugesandt.
Schattentanz
Er betrat den Raum.
Es war dunkel und die Stille schien ihn förmlich zu sich in die Ewigkeit ziehen zu wollen, ihn zu packen und für immer zu halten.
Die Schatten schienen seltsam lebendig und flackerten und tanzten im Schein einer am Ende des Zimmers auf einem Schreibtisch stehenden Kerze, die den letzten Strahl ihres einseitigen Lebens wohl in den nächsten Stunden sinnlos an die Leere des Saals verschwenden würde. Niemanden würde es wirklich interessieren. Die Kerze, die hier unten nutzlos versiegte war nun der einzige Schimmer Hoffnung für den Jungen.
Trotz der Stille, die in diesen vier Wänden herrschte, dieser entsetzlichen Leere, schien ihn jemand zu beobachten, ihn zu Bekehren, auf die Seite des Bösen zum Herrn der Unterwelt.
Warum hatte ihn seine Mutter nur in diesen Raum geschickt, was hatte er denn so schlimmes verbrochen, sich dieser Strafe unterziehen zu müssen? Keine Missetat könnte sich mit der Grausamkeit dieser Bestrafung messen.
Er sah ja ein, dass er sein Zimmer besser hätte aufräumen sollen, aus irgendeinem, für ihn nicht erkenntlichen, Grund mochte eine Mum auch Recht gehabt haben, mit dieser Härte der Bestrafung, wer wusste denn, was aus Menschen wird, die ihr Zimmer nicht immer ordentlich halten. Vielleicht würden diese Menschen, wenn sie nicht diszipliniert würden, als Mörder oder Vergewaltiger enden! ? Über so etwas hatte er sich bisher noch nie Gedanken gemacht aber vielleicht wollte seine Mutter ihn nur vor diesem Schicksal bewahren.
Und dennoch, wieso gerade in dem sie ihn in den Keller sperrte? Hausarrest, egal wie lange, oder Taschengeldkürzung, egal um welchen Betrag, wären ihm lieber gewesen.
Seine Mutter würde ihn rauslassen, wenn sie der Meinung sei, die Bestrafung wäre lange genug gewesen so, dass er aus seinen Fehlern hätte lernen können.
Aber wie lange würde das dauern?
Wie schlimm war sein Verstoß, wie lange würde er in der Dunkelheit gefangen sein, hier unten, wo die Zeit still zu stehen scheint?
Die Tür viel hinter ihm zu und er hörte das klacken des Schlosses, als ein Schlüssel langsam herum gedreht wurde. Auch das schwache Licht, dass durch den, in der Dämmerung liegenden, Flur grau in den Kellerabgang schien, war nun nicht mehr da. Die Schwärze hatte ihr Reich vergrößert, die Grenzen des Lichts hinter die Füße des Jungen verdrängt. Nur noch im Umkreis der brennenden Kerze herrschte das Licht in diesem Raum.
Als er begann die Holztreppe hinunter zu steigen um die einzige spärliche Lichtquelle zu erreichen, sich in ihren Lichtkegel zu retten, wurde die bedrückende Stille des Raumes zerschnitten vom lauten knarren des wurmstichigen Holzes. Die Stufen fingen an unter seinem Gewicht nachzugeben und ächzten und schönten gequält während er seinen Weg fortsetzte.
Im seinem Kopf begann es zu pochen, sein Herz raste wie wild. Seine Phantasie
begann ihm Dinge vorzuspielen, die Schatten begannen sich in abstrakter Art und Weise zu bewegen, fast schien es als tanzten sie einen Freudentanz, weil sie eine weitere unschuldige Seele zu sich zu bekehren begonnen hatten. In ihren Bewegungen kamen sie immer näher, fast konnte er ihre entsetzliche Kälte auf seiner Haut spüren. Eine Stimme fing an zu ihm zu sprechen, erst ganz leise und unverständlich dann jedoch immer lauter bis sie schließlich, mit diabolisch klingendem Ton, schmerzhaft in seinem Kopf schrie. Sie zwang ihn hinunter in ihr Reich.
Unter dem lauten knacken der Treppe und dem Geschrei in seinem Kopf erreichte er das Ende der Treppe. Hier unten, zwei Meter unter der Erde, im Reich des Todes, schwebte ein Hauch von Menschlichkeit, da ein Tisch auf dem einige Bögen Papier, eine Schreibfeder und ein Tintenfass lagen, und ein Stuhl neben ihm stand. Oberhalb des spärlichen Mobiliars stand die, von kühlen Windzügen flackernde Kerze, die gerade genug Licht zum schreiben spendete.
So setzte er sich hin und fing, um sich abzulenken, an zu schreiben.
Zwar war er erst 12 verfügte aber dank der Herzlosigkeit seiner Eltern bereits ausreichend Schreibstoff.
Stetig wurde er vom wartenden Tanz der Schatten begleitet. Und dennoch schrieb er weiter, hielt die Ungerechtigkeiten seiner Eltern fest. Solange er hier im Lichtkegel saß, konnte ihm nichts geschehen. Doch was würde passieren, wenn die Kerze erlischt?
Zentimeter um Zentimeter wanderte ihr Wachs nach unten, lief ihr Leben ab. Die Flamme ernährte sich nur noch von einem letzten Fleck Wachs, das Licht begann an Intensität zu verlieren. Der Schattentanz bewegte sich immer weiter auf den Jungen zu. Im ersten Moment bemerkte er die drohende Gefahr nicht, mit der Zeit allerdings schien im Kampf zwischen Schwarz und Weiß ein Sieg unausweichlich zu sein. Zum Übel des Jungen würde nicht das Licht als Sieger aus diesem Konflikt hervorgehen, sondern ganz im Gegenteil, das Böse würde gewinnen.
Fast konnte er das Böse jubeln hören. Der Tanz begann in Trance überzugehen. Dann war alles vorbei
Das glimmen des Dochtes erlosch nach wenigen Augenblicken, nur ein markanter Geruch stieg in die Luft des nun im Dunkeln liegenden Raumes.
Am nächsten Morgen befand seine Mutter die Strafe für abgesessen und öffnete langsam die Türe.
Die Strafe war abgesessen, auch hatte sie Erfolg gezeigt. Nie wieder verließ der Junge sein Zimmer unaufgeräumt. Allerdings betrat er es auch nie wieder.
Mit, aus Panik weit aufgerissenen und so erstarrten, Augen starrte der leblose Körper des Jungen zur Decke. Die Hände hatten sich am Stuhl verkrampft und der Mund war weit geöffnet.