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Freiheit

Auf einmal wurde es dunkel. Mal wieder. Seit Tagen wurde es immer wieder dunkel. Und das mitten am Tag. Immer wieder zucken die Menschen zusammen und kauern in ihren Verstecken, wenn sie uns das Licht nehmen. Nur ich nicht. Ich sitze allein. Ich habe niemanden mehr, mit dem ich meine Angst teilen könnte.

Mein Blick fährt über die Umrisse in der Dunkelheit. Zitternde Gestalten, aus meiner Entfernung als Lumpen tragende Schattengestalten zu erkennen. Alle liegen sie. Seit damals angefangen wurde, uns das Licht zu nehmen, konnten immer weniger von uns neue Energie schöpfen. Niemand hier fühlt sich so stark, als das er gehen könnte.

Als es anfing herrschte Chaos und Panik brach aus. Mittlerweile aber sind wir zu schwach, um zu gehen; zu schwach, um zu sprechen; zu schwach, uns zu wehren. Dieses Problem können wir nicht lösen. Aber das will niemand einsehen. Jeder hier glaubt daran, dass er es hier für Ewigkeiten aushalten kann, wenn er nur stark genug glaubt. Niemand will einsehen, dass er hier, früher oder später, sein Leben lassen wird. Ob ich der Einzige bin, der so denkt?

Langsam erhellt sich der Raum wieder. Ich kann ein Pärchen erkennen, welches eng umschlungen mit letzter Kraft Zärtlichkeiten austauscht. Mich durchfährt ein Gedanke, der mich tief im Herzen einen Schmerz spüren lässt. Ich denke über den Begriff „Liebe“ nach. Ist das, was sie da vollziehen, nur aus einem Gefühl heraus entstanden? Oder wollen sie ihr restliches, kurzes Leben einfach nur Spaß haben?

Ich weiß es nicht. Ich sehe darin lediglich egoistische Gründe. Jeder der beiden will seinen, ja gottverdammt, seinen eigenen Spaß haben. Dem anderen etwas Gutes tun? Tut es einem nicht selbst noch viel besser, wenn man das tut? Und ist es dann egoistisch?

Und wieder frage ich mich, ob ich der einzige bin, der sich dies fragt.

Auf einmal höre ich neben mir ein Schluchzen. Während der dunklen Phase müssen sie mir ein Kind an die Seite gelegt haben. Es ist ein Mädchen, ich schätze sie auf etwa 15 Jahre. Genau kann man es nicht bestimmen, da die Augen unter stetiger Dunkelheit sehr leiden. Ich frage das Mädchen, wie sie heiße und versuche, sie etwas zu beruhigen. Sie spricht aber eine Sprache, die ich nicht verstehe. Ich biete ihr also meine Decke an, denn es kühlt etwas ab. Immer, wenn es bald wieder dunkel wird, kühlt es schlagartig ab. Es ist so was wie eine Vorwarnung. Nur die anderen merken es nicht. Oder wollen es nicht merken. Ich weiß es nicht.

Zu meiner Verwunderung lehnt sie die das Stück Decke ab. Ich rede auf sie ein, aber sie scheint mich nicht verstehen zu wollen. Schließlich verdunkelt sich der Himmel leicht. Ich gebe dem Mädchen meine ganze Decke. Sie nimmt sie und schaut mich ängstlich an. In ihren blauen Augen verliert sich die Angst ein Stück weit, doch dann wird es plötzlich stockduster. Sie schreit, währen ich mich in die pränatale Stellung versetze, um Körperwärme zu sparen. Ein alter Trick, den einige hier beherrschen.

Es bleibt länger dunkel als sonst. Vielleicht bilde ich es mir aber auch nur ein, weil ich nicht unter meiner mich schützenden, wärme spendenden Decke versteckt bin. Es braucht mehr als 3000 meiner Herzschläge. Seitdem das alles angefangen hat, habe ich angefangen, in Herzschlägen zu messen. Das Einzige, was einigermaßen zuverlässig ist. Es wird wieder hell, aus der Ferne hört man erleichtertes Stöhnen. Langsam aber wünsche ich mir, dass das alles vorbei ist.

Mein Blick fällt nach links, und mein erster Gedanke wird an die nun fehlende Decke verschwendet. Doch nur eine Sekunde später erkenne ich, dass das Mädchen ein Messer im Hals stecken hat. Ich will schreien, bin aber zu schwach dazu. Eine Träne rinnt mir aus dem Augenwinkel. Jemand hat sie anscheinend ermordet und ihr die Decke genommen. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Und dann fühle ich in mir etwas Komisches. Ich denke nach. Sie muss nun nichts mehr fürchten. Sie ist durch das Ganze durch. Sie muss nicht mehr leiden. Ich muss aber leiden. Ich bin weiterhin dieser Hölle ausgesetzt. Ich will das nicht mehr. Es wird schon gar nicht mehr warm zwischen den dunklen Phasen. Teilweise nehme ich den Unterschied ohnehin nicht mehr wahr. Ich will hier raus. Ich muss hier raus.

Ich ziehe dem Mädchen das Messer aus dem Hals und betrachte es. Blutverschmiert, in hell- und tiefrot, auch ein wenig Dreck hängt daran. Ich schüttle den Kopf und führe das Messer mit der Klinge an meinen Unterarm. All meinen Mut fasse ich zusammen und setze mir die absolute Freiheit ans Ziel. Ich spüre einen stechenden Schmerz an der Schnittstelle. Zunächst will ich das Schreien unterbinden, aber dann beginnt für mich schon die Freiheit und ich brülle. Ich brülle alles aus mir heraus. Ich spuke Fluchwörter, Hass, Beleidigungen und Blut. Ich lache, ich lache, ich muss lachen… mit geschlossenen Augen falle ich auf den Boden und nur noch keuchend denn atmend lache ich mit immer größer werdenden Abständen und immer schwächeren Lachern. Ich spüre etwas. Ich öffne mit allerletzter Kraft meine Augen. Es ist das tote Mädchen, sie hebt meinen Kopf und gibt mir einen Kuss. Sie sagt ich war ein guter Mensch. Freiheit sei nun mein. Freiheit.

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